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Wir besuchen Tschernobyl – Und: Sauna-Party im mog – Und: endlich passiert uns mal wieder Korruption ? – Bericht vom 06.10. bis zum 09.10.2019.

Tschernobyl. Ich gehe davon aus, dass die Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 den meisten von euch im Gedächtnis ist. Reto war damals 7 Jahre alt, ich knapp 3.

Nun, es gibt auch jüngere Semester in diesem Chat-Verteiler, sowas 😉, aber ich nehme an, dass auch diese von der Katastrophe gehört haben bzw. mit ihr vertraut sind.

Reto hatte zuvor die HBO-Serie über Tschernobyl gesehen. Ich wollte auf jeden Fall hin, trotz Umweg. Reto war skeptisch. Schon die Fahrt von Kiew nach Tschernobyl war speziell: sehr verlassen, Birkenwälder, soweit das Auge reicht, Nebel, schlechte Strassen, menschenleere Wildnis… schon die Anreise alleine war gruselig!

Da man Tschernobyl leider nicht individuell besuchen kann (es gibt viele Menschen, die sich illegal nach Tschernobyl schleichen, tagelang robben sie nachts durch Wälder, müssen sich tagsüber verstecken… recherchiert ihr im Internet, so wäret ihr schockiert, was sich hier für Berichte finden!). Ich muss sagen, ich bin kein Gruppenreisender, aber illegale Touren und mich damit mit dem ukrainischen Militär anlegen, ich weiss nicht, ich finde das «doof». Aber, soll ja jeder machen können, wie er oder sie es will…

Reto und ich buchen also eine Tour, aber trotzdem bleiben wir individuell: während die Tagestouren von Kiew aus starten (3 Stunden Fahrtzeit von Kiew nach Tschernobyl, einfach, Abfahrt um 7 Uhr morgens), fahren Reto und ich selbst so nahe an die Exklusion Zone wie möglich, und werden, von dem Touranbieter «Solo East Travel», für den das kein Problem war, um 10 Uhr morgens aufgenommen in den kleinen Tourbus.

«Exklusion Zone» bedeutet übrigens, dass hier keine Strahlung mehr gefunden werden will.

Das Wetter passt ebenfalls zum Katastrophenort: es ist kalt, grau, neblig, regnerisch. Auf dem Weg zum Kernreaktor von Tschernobyl: verlassene Ruinen, sehr viele Checkpoints. Pässe werden kontrolliert, diese Prozedur dauert ewig. Überall ist Militär zu sehen, Tschernobyl ist streng bewacht.

Die Reisegruppe ist nett, Engländer, Amerikaner vor allem. Wir erfahren, dass Tschernobyl heute wieder 2.000 Einwohner hat, und es eine richtige Infrastruktur gibt: Fitnessstudios, Restaurants, Supermärkte, Banken, Hotels… Diese 2.000 Menschen sind Arbeiter, die die Stadt bzw. das Gebiet überwachen. Sie arbeiten 15 Tage am Stück, 15 Tage haben sie frei.

Es gibt sogenannte «Hotspots» in Tschernobyl, hier ist die Strahlung noch sehr hoch. Ansonsten, wird uns erklärt, sei man an einem Tag in Tschernobyl nicht mehr Strahlung ausgesetzt als bei einem Interkontinentalflug…

Wir haben einen Geigerzähler, und Reto misst begeistert immer wieder am Boden, an Bäumen… manchmal schlägt der Geigerzähler schnell aus, das ist dann schon beängstigend. Der Guide sagt immer nur, wir sollen uns keine Sorgen machen. Den Boden soll man trotzdem nicht berühren, und auf keinen Fall «Souvenirs» aus Tschernobyl mitnehmen…

Wir erfahren, dass, nachdem Tschernobyl evakuiert wurde 1986, ca. 120 Menschen in ihre Häuser zurückkehrten, als sogenannte «illegal settlers». Die Regierung versuchte immer wieder, sie zu evakuieren – sie kehrten immer zurück. Schliesslich musste die Regierung ihnen daher gewisse Dinge, wie Strom und Wasser, zur Verfügung stellen. Noch heute gibt es private Touren zu diesen illegal settlers, sie freuen sich sehr über Geschenke und erzählen, wie es ihnen damals erging.

Wir besuchen einen verlassenen Kindergarten. Gruselig, der Weg führt durch ein kleines Wäldchen. Was auffällt: irgendjemand (wahrscheinlich das Militär, die Touranbieter oder die 2.000 Menschen in Tschernobyl) haben überall Stofftiere, Spielzeug, Puppen usw, aufgestellt. Das sieht unnatürlich aus, so kann das nicht seit 1986 dort liegen. Auf Fotos sieht es natürlich toll aus, aber etwas makaber und kitschig («makaber-kitschig») finde ich es schon, den Stoffhasen mit dem einen Ohr auf einem Fenstersims mit zerbrochenen Scheiben…

Die Tour führt natürlich auch zum Reaktor 4, in dem sich damals das Unglück ereignete. Heute ist er mit einem neuen, sicheren Sarkophag ummantelt, durch den keine Strahlen nach draussen dringen sollen. Das sieht wirklich beeindruckend aus.

Weiter geht es in die Stadt Prypyat, damals die modernste Stadt in der Ukraine. Damalige Propaganda-Filme zeigen, wie lebhaft, modern die Stadt war. Heute: Ruinen. Eine Geisterstadt. Wir spazieren durch bunte Herbstwälder, zwischen maroden Gebäuden hindurch, wir besichtigen ein verfallenes Fussballstadion. Ein Scheinwerfer steht noch. Wie lange, ist fraglich.

Unser Tourguide lässt uns in alte, verlassene Gebäude, er flüstert, wir sollen leise sein, denn dies sei eigentlich verboten… komisch nur, dass hunderte andere Reisegruppen auch in den Gebäuden zu finden sind. Ich lasse mich ungern veräppeln, und frage mich, was dieser aufgesetzte «Kitsch» bzw. «Thrill» soll. Die anderen in der Reisegruppe sind jedoch begeistert, also halte ich meinen Mund.

Wir gehen in alte verfallene Wohnhäuser, sehen uns Küchen, Bäder, Wohnzimmer an. Ein altes Sportgebäude begeistert mich dann doch, eine Sporthalle ist hier zu sehen, ein altes Schwimmbad, mit Sprungtürmen. Die Fenster sind zerbrochen, Herbstblätter liegen im Schwimmbecken.

Es findet sich übrigens auch die letzte Statue Lenins in Tschernobyl. Denn die Ukraine möchte sowjet-frei sein.

Am meisten beeindruckt mich dann eine alte Satellitenanlage aus dem Kalten Krieg: riesige Konstruktionen der Empfangsstation stehen hier, mitten im Wald. Gigantisch hoch. Unvorstellbar soll das mal modern gewesen sein, war es aber, damals, und dazu noch hochgeheim.

Alles, das ganze Programm, wird innerhalb von ca. 5 Stunden «abgespult». Hinterlässt einen komischen Geschmack, aber gut, das sind eben die organisierten Touren, und will man nicht 500 USD zu zweit bezahlen für eine «private Tour», auch nicht anders machbar.

Die Ausreise aus Tschernobyl gestaltet sich langwierig, wir Menschen müssen in riesige Geigerzähler, auch die Autos werden mit einem solchen untersucht.

Tschernobyl ist bewegend, interessant, lehrreich, beängstigend, extrem touristisch und künstlich kitschig gemacht. Die Tour, so finden Reto und ich, hat sich gelohnt. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort.

Am Nachmittag, wir müssen, zum Glück, nicht mehr die drei Stunden nach Kiew zurück, sondern fahren mit unserem Unimog ein paar Meter zu einem schönen Fluss, gerade an der Grenze der Exklusion Zone.

Es gibt kleine, vereinzelte Dörfer, die Menschen betreiben Landwirtschaft, auf uns macht es aber einen sehr deprimierenden, verlassenen Eindruck.

Die Stelle am Fluss ist malerisch, aber es ist kalt und regnerisch. Trotzdem verbringen wir hier einen Tag: die neue Dieselheizung will eingebaut werden! Obwohl sich Reto gut vorbereitet hat, vorher recherchiert hat, die Teile analysiert hat, benötigt er einen vollen Tag, inklusive lauter Fluchereien (die neue Klimaanlage hat leicht andere Masse als die kaputte, und so muss er sägen, zurechtschneiden, bohren….).

Reto, wie immer, meistert die Herausforderung bravourös 😊, und die «Mog-Sauna-Party» mit Cüpli (Sekt) wird eingeläutet, herrlich, was ein Spass!

Am nächsten Tag fahren wir ab, wir müssen über Kiew in die Ostukraine, leider geht es nicht anders, in der Ukraine gibt es Krieg! So sind die Gebiete um Donezk, Luhansk oder die Halbinsel Krim Kriegsgebiet. In diesen Konfliktregionen sind Anschläge und Entführungen nicht selten, Kriegshandlungen finden, am Beispiel der Krim, täglich statt. Separatisten kontrollieren diese Gebiete um Donezk und Luhansk, nicht die ukrainische Regierung, auf der Krim befindet sich die Ukraine mit Russland im Krieg.

So ist die Einreise nach Russland über die Ostukraine schwierig, es gibt Minen und anderweitige, nicht explodierte Munition. Es gibt jedoch einen kleinen Korridor, im Nordosten der Ukraine, bei Charkiw, über diesen man nach Russland einreisen kann.

Es ist eine lange Strecke, und kurz vor der Grenze bekommen wir von der Ukraine ein «Abschiedsgeschenk» in Form korrupter, ukrainischer Polizeibeamter:

Wir fahren, ca. 100 km vor der ukrainischen Grenze, völlig entspannt dahin… plötzlich zieht uns ein Polizeiwagen, voller Polizisten, aus dem Verkehr. Da Reto fuhr, zeigt er Papiere, den mog, er muss mit ihnen mit. Ich warte. Irgendwann jedoch da wird es mir zu lang, ich gehe Reto suchen: er sitzt, vorne im Polizeiwagen, und musste blasen! Und obwohl er schon seit 2 Tagen keinen Schluck Alkohol mehr getrunken hatte, behaupten sie, er sei alkoholisiert. Das ist eine Straftat in der Ukraine, hier ist 0,0 Promille beim Autofahren. Es kann aber nicht sein, wir wehren uns, Reto sagt knallhart «das könnt ihr vergessen, ich zahle euch keinen Cent!». Und ich sage zu einem anderen Beamten, ich würde jetzt die Deutsche Botschaft in Kiew anrufen, Korruption lassen wir uns nicht gefallen, Reto hat kein Alkohol getrunken. Reto diskutiert, sie haben nicht nur unsere Führerscheine, Fahrzeugpapiere, sondern auch unsere Reisepässe. Reto entreisst sie ihnen wütend, wir dürfen abfahren – bzw. wir dürfen fahren, mit mir am Steuer.

Ich bin wütend, und enttäuscht. An dieser Stelle muss man jedoch erwähnen, ist dies erst der zweite Korruptionsversuch auf unserer langen Reise, mit viel Zeit auf der Strasse, nach dem ersten in Serbien, somit also wohl verkraftbar. Ich hätte mit mehr gerechnet. Vielleicht sollte ich eine «Korruptionsversuchs-Statistik» auf unserer twoandamog-Webseite mit aufnehmen? 😉

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